Ein Beitrag zur Studie „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“:
Bad Boll hat 5.100 Einwohner und 3.100 PKW. Hiermit kommen auf 1000 Einwohner 608 PKW. Dies kann und darf nicht Weltmaßstab sein, sonst gäbe es bei 6,5 Mrd. Menschen weltweit nicht wie derzeit 960 Millionen sondern 3.95 Mrd. PKW. Legt man die derzeitige durchschnittliche jährliche Kilometerleistung und den entsprechenden Verbrauch in Deutschland zu Grunde, ergibt dies eine Klimabelastung – allein durch die gefahrenen PKW Kilometer – von 9 Mrd. Tonnen CO2. Dies ist 75 % dessen was an Kohlendioxidausstoß global „aufgefangen“ und ausgeglichen werden kann – also global verträglich wäre.
Auch bei einem durchschnittlichen Verbrauch der PKW von 2 Litern, würde weltweit immer noch allein für die individuelle Motorisierung 2.3 Mrd. Tonnen CO2 freigesetzt, also allein 20 Prozent der „klimaverträglichen“ CO2 Emissionen verursacht. Wobei ein derartig verbrauchsarmes Auto am Horizont automobilwirtschaftlicher Entwicklung noch längst nicht zu sehen ist, wenn Daimler erst kürzlich seine neuen Dieselaggregate (OM 651) vorgestellt hat, deren Leistungsstufen von 136 bis 204 PS reichen mit einem Verbrauch von immerhin noch 5,2 Litern.
Würden allerdings – aber dies ist derzeit nur eine Vision – die Bad Boller Bürgerinnen und Bürger sich ihrer globalen Verantwortung bewusst und sich bei 5.100 Einwohnern mit 300 bis 500 PKW in gemeinsamem Besitz bescheiden, wäre dies für alle Bad Boller und für den Planeten ein mehrfacher Gewinn – an Kostenersparnis, vor allem aber an Lebensqualität. Mann und Frau müssten sich nicht um ihren Wagen kümmern, denn die im Gemeindebesitz befindliche Flotte unterschiedlicher Fahrzeuge, vom Kleinwagen über einen Van bis zum Transporter werden von ca. 30 – 50 Beschäftigten gewartet und Interessenten im Bedarfsfall vors Haus gestellt. Darüber hinaus würde das Dorfleben entlastet, kostbare Fläche würde durch den Wegfall von Parkplätzen und Garagen frei, der PKW-Verkehr würde drastisch weniger. Fahrräder und Fußgänger hätten mehr Platz mit zwei überbreiten Fahrradstreifen und nur einer Spur für PKW, die bei Gegenverkehr sich mit Fahrradtempo auf die Radspuren ausweichen müssten. Straßen, Wege und Plätze würden Lebensräume. Man sieht dann in Boll wieder Leute abends vor dem Haus sitzen und sich mit Nachbarn unterhalten. Manche Häuser verraten an ihrer Eingangsseite heute noch, dass dies früher üblich war.
Vielleicht wäre nach dem Motto „wie im Westen so auf Erden“ dies ein Standard, der nicht nur globalisierbar sondern auch attraktiv wäre. Weltweit gäbe es dann ca. 600 Millionen PKW, über 1/3 weniger als derzeit – und jeder Mensch hätte die Möglichkeit, auch mal – wenn notwendig – einen PKW zu benutzen. Und auch fürs Klima wäre es ein Gewinn: 432 Millionen Tonnen CO2, 4 % der global verträglichen Kohlendioxidemissionen. Bis dies soweit ist, gibt es vermutlich andere, postfossile Antriebsmöglichkeiten.
Und was ist mit dem berechtigten Einwand „was passiert dann mit den Arbeitsplätzen“? In der Produktion ist die Arbeitszeit verkürzt und die Autoschmieden wandeln sich zu Mobilitätsdienstleistungskonzernen. Mehr und mehr Beschäftigte entdecken auch das Positive dieses Wandels, nicht mehr nur am Band sondern auch in Eigenarbeit im eigenen oder in Dorfgärten tätig zu sein – und vielleicht hin und wieder vor dem Haus zu sitzen und Vogelgezwitscher und Kindergeschnatter zu genießen.
Diese „Vision“ zeigt, dass heute schon am morgen zu arbeiten ist, an kollektiven Nutzungsformen wie an downgesizten Fahrzeugen. Was wäre es schön: Bad Boll ein Jühnde oder Mauenheim der individuellen Motorisierung!
Jobst Kraus
Bad Boll 2008/2010